Michaela

 
Dieser Bericht ist von Michaela. Danke Michaela! (28.01.2003)
 
Liebe unbekannte Chrissi,
ich habe das dringende Bedürfnis, mich Dir mitzuteilen, nachdem ich Deine "Hyperemesis-Story" gelesen habe.
Ich hatte auch eine ... Meine Tochter ist im Juni 2000 geboren. Seit dieser Zeit denke ich daran, doch mal im Internet zu schauen, ob "darüber" was zu finden ist.

Deine Zeilen haben mich sehr berührt und gleichzeitig haben sie meine eigene "Geschichte" in Erinnerung gebracht.
Ich kann Dir so gut nachfühlen!!!

Auch bei mir fing alles total fröhlich und harmlos an, obwohl ich hinzufügen muss, dass der Zeitpunkt der Schwangerschaft insofern nicht optimal war, weil wir uns gerade kennengelernt hatten bzw. dabei waren uns
kennenzulernen.
Es war Spätsommer - genaugenommen Ende September 1999. Wir zwei jedenfalls sind zu dieser Zeit an die Ostsee zelten gefahren. Es war eine wunderbare Woche, jeden Tag Sonnenschein, jeden Tag haben wir den Darß mit den Rädern oder unseren Inlinern erkundet. Und ich war ganz frisch verliebt - ich bin mir sicher: so sehr wie vorher noch nie!!!
Jedenfalls sind wir als Paar nach Hause gefahren, was vorher noch nicht so ganz klar war ... Naja.

Zwei - drei Wochen später fühlte ich mich irgendwie schlapp und müde, ich hatte das Gefühl, eine Krankheit wäre im Anmarsch. Hinzu kamen zufälligerweise Schnupfen und Gliederschmerzen, so dass ich für mich die
Gewissheit hatte: ne Grippe oder so. Meine Regel war überfällig, das war sie aber immer.
Deshalb bin ich auch aus allen Wolken gefallen, als mir mein Hausarzt nach einer Urinprobe mitteilte, ich sei schwanger.

Ehrlich gesagt wusste ich nicht, ob ich mich freuen oder heulen sollte.
Klar, Kinder wollte ich schon haben. Und in einer vorigen Beziehung ist in sechs Jahren nichts passiert... Manchmal
dachte ich daran, vielleicht zu denen zu gehören, die aus irgendwelchen Gründen keine Kinder bekommen können.
Naja, diesbezüglich wurde ich ja eines besseren belehrt. Aber zu dem Zeitpunkt konnte ich mich nicht nur freuen.
Klar, ich war schwanger! Tolles Gefühl!!! Doch die Beziehung hatte doch keinerlei Basis, ich war doch "nur" frisch verliebt.
Ich bin den langen Weg vom Arzt bis zu meinem Freund gelaufen. Bei ihm angekommen, hab´ ich die Karten offen auf den Tisch gelegt. Wie gesagt, wir kannten uns wenige Tage und hatten nur diese gemeinsame Woche miteinander.

Als werdende Mutter gehen einem natürlich sofort die schlimmsten Gedanken durch den Kopf, denn wir hatten über recht viel gesprochen - aber doch nicht von gemeinsamen Kindern. Klar, es gehören immer zwei dazu, aber vielleicht glaubte er ja, ich habe das geplant oder so. Ganz schlimme Vorstellung.
Oder er überläßt die Entscheidung mir, bleibt aber so oder so nicht bei mir. (Ich schreibe diese Gedanken deshalb so ausführlich, weil es später aus ärztlicher Sicht auch hieß, diese Hyperemesis mit dem Dauergekotze hätte psychische Ursachen ...irgendwann fängt man an, dran zu glauben!)

Ich bin (noch unwissentlich) noch einmal mit ihm Fahrrad gefahren, das war die Hölle. Die kleinsten Steigungen waren total anstrengend. Ich dachte nur, was ist los mit dir. Dann fing ich an mit brechen. Immer mehr. Ständige Übelkeit, nicht nur morgens. Das ging eine ganze Weile so. Als ich dann schon wußte, warum, dachte ich: Naja, ist ja bekannt, dass Schwangeren übel ist. An meiner Arbeitsstelle war ich den größten Teil mehr auf der Toilette, um mich zu übergeben, als im Büro. Mir war das total unangenehm, wollte aber auch das Gebreche nicht als Anlaß nehmen, meinem Arbeitgeber die Schwangerschaft mitzuteilen.
Die nächsten Tage waren ätzend!!!!

An einem Abend (Anfang November) war meine Freundin bei mir (sie wußte, daß ich schwanger bin).
Wir wollten uns einen schönen Abend machen. Daraus wurde insofern nichts, weil ich nur mit meinem Eimer "kämpfte". Sie hat sich stundenlang mein Gewürge angehört. Ich konnte nicht mal ein paar zusammenhängende Sätze sprechen. Dann meinte sie, dass das doch nicht mehr normal sein könnte, ich müßte zum Arzt. Auch ich wehrte mich, bekam Angst. Als sie meinte, ich solle mal lieber die Tasche packen, fand ich das total übertrieben. Auch ich sagte, mit dem Taxi können wir auf keinen Falle fahren, ich kotz dem alles voll... Ein guter Bekannter
hat mich dann ins Krankenhaus gebracht. (Ich muss noch erwähnen, daß mein Freund zu diesem Zeitpunkt auf Montage war).

Im Krankenhaus wurde ich gleich untersucht. Die Schwester fragte, warum ich jetzt erst käme, ich hätte ganz besch... Werte. Ich müsste sofort Infusionen kriegen. "Bleiben Sie mal ne` Woche bei uns, wir päppeln sie wieder auf" sagte sie. Aus der einen versprochenen Woche sind zwei Monate geworden.

Was ich in dieser Zeit durchgemacht habe, kann nur eine Frau wie Du wissen!
Und meine Mutter (dazu später)!
Wochenlang habe ich gebrochen, von früh bis spät. Keine Besserung in Sicht.
Die gleichen Kommentare der Ärzte, ab einer gewissen Schwangerschaftswoche würde alles besser werden. Von
wegen, es wurde immer unerträglicher.

Irgendwie spürte ich, dass ich auf keinen Fall sagen kann, dass mich die ungewollte Schwangerschaft schon sehr beschäftigte. Aber dann fragten sie, ob das Kind geplant wäre, ob ich Zukunftsängste hätte usw.. Damit hatten sie mich: natürlich - das ganze Ausmaß hat psychische Ursachen. (Als ob jede Mutter in der optimalsten Lage wäre, ihr Kind zu bekommen). Ich wußte für mich: das stimmt so nicht. Klar machte ich mir Gedanken. Vielleicht zu viele. Aber das ist doch auch immer ein Ausdruck dafür, dass man sich mit seiner Situation auseinandersetzt. Das ist doch besser als verdrängen und abzuwarten und dann in ein Loch zu fallen. Ich habe mich bewußt für mein Kind entschieden!!!

Außerdem war ich mir auch deshalb so sicher, dass das kein Grund dafür sein kann, weil meine Mutter mit mir die gleiche Schwangerschaft durchgemacht hat. Und sie war verheiratet und ich war ein Wunschkind! Überhaupt war meine Mutter für mich insofern ein Trost, weil sie aus eigener Erfahrung wußte, daß ich ein gesundes Kind bekommen würde, also was keinen Schaden an dieser Kotzerei nehmen würde. Sie hatte Recht. Ich habe eine ganz gesunde, aufgeweckte liebe Maus, die mich für wirklich alles entschädigt. Doch das weiß man erst hinterher.
Ich dachte zu der Zeit, als ich im Krankenhaus war, ich komm da nie mehr raus. Die Pfunde, dann Kilos purzelten. Ich habe 12 kg in ein paar Wochen abgenommen.
Ich war ein Frack. Ich war eine hässliche Schwangere, statt Rundungen zu bekommen, wurde ich immer dürrer.
Auf dem Weg zur Toilette musste ich gestützt werden, Duschen und Haarewaschen kamen einem Marathon gleich.
Ich konnte nicht lesen, nicht fernsehen, geschweige denn Radio hören - mir war alles zu viel. Nur nachts konnte ich einigermaßen schlafen. Morgens ging der "Spaß" von vorne los. Immer wieder. Wenn sich Besuch anmeldete, war das die Hölle und wenn er ging, war ich froh, das überstanden zu haben. Ich kam mir so undankbar vor.
Wenn die Schwestern mir den Nierenschälchen kamen, hab ich nur abgewunken. Wollten die sich dumm und dämlich laufen? Als ich dann irgendwann anfing grün zu spucken und Blut sich beimischte musste ich noch eine
Magenspiegelung über mich ergehen lassen. In meinen geschundenen Hals stopften sie diesen Schlauch rein, nur um die ganz sichere Bestätigung zu bekommen, ich hätte was mit dem Magen. Ich habs besser gewusst. Naja.

Am 24. Dezember 1999 sollte ich probeweise nach Hause (zu meinen Eltern) entlassen werden.
An dem Morgen bin ich auf dem Weg ins Labor zusammengebrochen. Ich habe erst wieder etwas mitbekommen, als ich auf einer Trage lag und von einer Schwester gepatscht wurde. Unter diesen Umständen dürfe ich auf keinen Fall nach Hause. Ich habe geheult und protestiert wie ein kleines Kind. Es hat etwas genützt. Ich durfte Weihnachten nach Hause. Ab diesem Zeitpunkt ging es langsam bergauf, ich brach zwar noch, aber nicht mehr so häufig und nicht nach jeder Mahlzeit. Es blieb mal was drin.

Silvester 1999 bin ich dann entlassen worden, habe den Abend Tee schlürfend bei meinen Großeltern gesessen. Ich habe ich an diesem Abend komischerweise am allermeisten selbstbemitleidet, weil es doch so ein besonderes Silvester war: Jahreswechsel 1999 zu 2000. Aber ich habe mich auch auf die nächsten noch sechs schwangeren Monate "in Freiheit" gefreut. Auch wenn die Zeit bis zur Geburt keine Traumzeit - verglichen mit anderen Schwangeren - war, ich habe versucht zu genießen. Endlich fing ich an, mich auf mein Baby zu freuen. Endlich spürte ich, alles wird gut. Wenn ich heute an so einige Begebenheiten denke, muss ich sogar manchmal schmunzeln:
Für einige Zeit bin ich doch noch meiner Arbeit nachgegangen. Manchmal musste ich jeden Morgen an jeder Haltestelle aussteigen, um zu brechen (ich hatte stets Tüten dabei) oder einfach nur tief durchzuatmen. Das hat morgens natürlich seine Zeit gekostet. Und dann gibts da auf dem Weg zu meiner Arbeitsstelle ein Stück Wiese mit einem Baum, der meine Rettung war, der war so breit, da war ich relativ unbeobachtet beim K...Und der steht sogar noch.

Wie Du siehst, Chrissi, kann ich heute auch drüber lachen. Aber es ist auch so schnell abzurufen, dass alles ganz genau wieder da ist: der widerliche Geschmack, das Drehen und Winden im Bett beim Brechen und das Gefühl, das Kind aus dem Leibe zu spucken... Manchmal, wenn man sich mit anderen Müttern austauscht, krieg ich auch zu hören "Mir war auch schlecht." Diese Frauen könnens einfach nicht wissen, ich nehms ihnen nicht mehr krumm. Aber es tut gut, sich auszutauschen, auch nach so langer Zeit. Manchmal denke, welcher Frau mag es jetzt wohl so ergehen. Oder ich denke an die Frauen, die nicht so medizinisch versorgt sind wie wir...Und ich denke an meine Mutter, die mit mir das durchgemacht hat und damals im Krankenhaus zu mir meinte: "Vor dreißig Jahren, als ich mit Dir im Bauch im Krankenhaus wegen unstillbarem Schwangerschaftserbrechen lag, haben sie mich genauso medizinisch behandelt wie Dich jetzt." Also Infusionen, Tropf, künstliche Ernährung, Vomex. Vor dreißig Jahren. Als 1978 das zweite Kind für meine Mutter und für mich ein Geschwisterchen unterwegs war, ging es auch noch schlechter (auch wenn man sich das eigentlich nicht vorstellen kann). "Das Leben der Mutter geht vor, konzentrieren Sie sich auf das gesunde" (also auf mich). Und sie kam nicht mehr schwanger nach Hause. Da war ich sieben.
Ich weiß es noch ganz genau. Heute erst kann ich Ihren wahren Schmerz nachempfinden. Und vor fünfzig Jahren sind die Frauen mit dieser Krankheit elend zu Grunde gegangen. Hat mir ein Professor gesagt. Wäre ja super, den Übeltäter gefunden zu haben: das Bakterium Helicobacter...

Danke fürs Zuhören bzw. Lesen und liebe Grüße von Michaela